Die zweite Chance
30.05.3304
Jester Garibaldi hat seit dem Beginn seiner Ausbildung vor mehr als 30 Jahre für Faulcon DeLacy gearbeitet, zuletzt als Software Security-Ingenieur in der Abteilung für Cyber-Verteidigung. Dabei hat er einige beachtenswerte neue Abwehrstrategien entwickelt, für die er als Belohnung in der Hauptverwaltung in Reorte ein Büro mit Fenster erhielt, von dem aus er in all den Jahren immer wieder beobachtet hat wie die Weltraumschiffe die Docks verlassen haben.
Eigentlich sollte man meinen das er als IT-Spezialist eher ein Rationalist, Pragmatiker oder Stoiker ist, aber irgendwann begann er angesichts der vielen Schiffe, davon zu träumen, den ganzen Trott hinter sich zu lassen um selber als Pilot in ein Raumschiff zu steigen und als Weltraumnomade ins All zu fliegen.
Er war immer ein absolut loyaler Angestellter und ist ein überzeugter Anhänger der Allianz, aber trotzdem flog er in seinen Träumen lieber in einer Eagle um Piraten zu jagen oder in dieser wunderschönen Clipper, einem Schiff des verhassten Imperiums um damit raus aus der Bubble zu fliegen und den Zauber des Universums zu erfahren.
Je älter er wurde, umso unwahrscheinlicher wurde es, das er irgendwann noch einmal diese Chance erhalten würde. Bis zu diesem Tag als er zu einem Termin mit seinem Abteilungsleiter und einem Mitarbeiter der Personalabteilung eingeladen wurde.
Eigentlich war es seine Hoffnung, das es um die Bewerbung als Nachfolger seines kürzlich verstorbenen Teamleiters ging, aber schon nach kurzer Zeit war ihm klar, dass es um etwas anderes ging.
“Jester, wie Du ja mitbekommen hast, strukturieren wir aktuell unsere Abteilung um. Das jetzt Dein Teamleiter so unerwartet von uns gegangen ist, hat dem ganzen noch eine etwas andere Dynamik gegeben.”
“Ich habe da so eine Ahnung, aber wie meinst Du das genau?” fragte Jester hoffnungsfroh auf den neuen Job, aber gleichzeitig warnte ihn auch eine innere Stimme, dass das Gespräch nicht so laufen könnte, wie er es erwartet hatte.
“Wir haben die Struktur der ganzen Abteilung analysiert und Optimierungspotential für eine Neuausrichtung gesehen…”
Jester hatte schon oft von solchen Situationen gehört und sein Unterbewusstsein hatte offensichtlich schon eine Strategie erarbeitet. “Verstehe… Wer muss alles gehen?” fragte er so ruhig wie möglich. Pjotre, sein Abteilungsleiter, sah kurz zum Personaler rüber. Nach ein paar Sekunden Bedenkzeit gab dieser per Kopfnicken sein Einverständnis und Pjotre fing an einige Namen zu nennen, insgesamt neunzehn, dann stockte er und ergänzte mit belegter Stimme “und leider bist Du auch dabei.”
Während der Aufzählung der Namen liefen Jesters analytische Synapsen auf Hochtouren, deshalb gab er routiniert von sich “Das sind insgesamt 8 Frauen und 12 Männer, die alle über 45 sind. Anschließend habt ihr nur noch 2 Mitarbeiter die über 40 sind… Ihr reduziert damit den Altersdurchschnitt der Abteilung um 2 Jahre und spart aber jährlich… warte …”.
Frekkus Follex, der Personalmensch, ergriff zum ersten Mal in dieser Unterhaltung das Wort. “Danke, Herr Garibaldi, aber wir wissen selber, was wir sparen. Deshalb wollten wir Ihnen einen Vorschlag machen…”
“Ah, einen Vorschlag wollt ihr machen? Was wird das? Ein halbes Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr? Keine Chance bei mir! So wie das für mich aussieht, schmeisst ihr alle raus, die über 45 sind. Und das ist auf jeden Fall eine Form von altersdiskriminierender Kündigung!!! Wir werden sehen, was die Gewerkschaft dazu sagt.”
Frekkus und Pjotre wirkten etwas konsterniert, als er ungerührt eine spontane Eingebung aussprach “Aber eigentlich ist mir das relativ egal was mein Anwalt oder die Kollegen sagen. Ich mache euch einen Vorschlag… Ihr überweist mir 30 Monatsgehälter, zusätzlich bezahlt ihr mir eine Ausbildung als Raumschiffpilot und ich erhalte eine voll ausgerüstete Sidewinder. Danach hört ihr nie wieder was von mir.”
Pjotre starrte Jester fassungslos an bevor er anfing zu stottern “Was… was … willst Du mit einem Pilotenschein machen? Bist Du nicht zu… äh… alt dafür?” Frekkus blickte ihn entrüstet an, weil er ahnte, das dadurch der Preis noch einmal steigen würde. Was Jester auch sofort lapidar bestätigte “Siehst Du was ich meine? Zu alt? Das kostet nochmal 5 Gehälter extra.”
Innerlich gespannt, aber äußerlich absolut ruhig schaute er abwechselnd seine beiden Gesprächspartnern an. Mit dem Erlös aus dieser nicht gerade kleinen Abfindungszahlung könnte er die offenen Ansprüche seiner Ex-Frau restlos bezahlen. Danach wäre er frei und es wäre sogar noch etwas übrig um die nächsten Monate gut Leben zu können.
Eine Woche später saß Jester glücklich und mit sich selbst zufrieden in einem Shuttle in Richtung des 100 LJ entfernte Piloten-Ausbildungszentrum nach Dromi und summte die Melodie eines alten Songs “Everbody gets a second chance”.